Sommerritual 2012

 

Es ist Nacht. Eine sehr helle Nacht. Die Grillen zirpen, ein Käuzchen ruft, ein Fuchs bellt. Grossmutter Mond hält uns heute alle wach. Mich auch. Also stehe ich auf und betrachte die zauberhafte Stimmung. Zuerst vom Fenster aus, schnell merke ich aber, dass ich raus möchte. Jetzt. in dieser Nacht.

 

Es scheint etwas in der Luft zu liegen, das mich ruft und dort draussen auf mich wartet. Also rolle ich mein Fell auf, nehme meinen Korb und gehe Barfuss, die Schuhe, neben einigen anderen Utensilien im Korb verstaut Richtung Wasser.

 

Mein Weg zum Rhein ist nicht weit. Die Treppe hinunter, durch die Haustür raus, an den bimmelnden, ein wenig verwunderten Rindern vorbei, durch den kleinen Waldsaum und schon bin ich da. Stehe vor dem uralten Wasser, das sie Rhein nannten und auch heute noch trinken. Ich setze mich in den Sand und lasse die Stimmung auf mich wirken. Mir wird klar was mich gerufen hat. Er war es: Grossvater Rhein und seine Lebewesen. Hier begann für uns vor langer Zeit, das was wir Zivilisation nannten. Hier erkannten wir, dass es das Wasser ist, was uns am Leben erhält und die Pflanzen wachsen lässt. Hier lernten wir etwas das uns schneller voran brachte als vorher. Hier lernten wir schwimmen. Und jene die nicht schwimmen lernen wollten oder konnten entwickelten dank ihrer Kreativität die ersten Boote, Waidlinge, Kanus, Einbäume, mit denen sie fast so wie der Milan am Himmel, das Wasser erobern konnten und weite Strecken, schneller zurücklegten.

 

Die Mondin steht majestätisch am Himmel rund und voll. Fische springen ihr entgegen. Ein klarer Spiegel steht vor mir. Ich ziehe meine wenigen Kleider aus und wate ins Wasser. Es ist zu meinem Erstaunen nicht kalt, sondern angenehm warm. Wie wenn es das erste mal wäre, lasse ich mich auf die Empfindungen ein, die auf mich ein fluten. Bis zu den Oberschenkeln stehe ich im Wasser, dass dunkel und geheimnisvoll, blubbernde, gluckernde Geräusche von sich gibt. Meine Füsse stehen auf sandigem Grund. Weiter hinten rauscht die Strömung. Ich habe ein wenig Angst. Wovor eigentlich? Hier mitten in der Natur bin ich nie allein. Und wieder voller Vertrauen lasse ich mich ins Wasser gleiten. Ein Glitzern und Funkeln tut sich vor meinen Augen auf und ich schwimme in einem silbernen Tuch das mich liebevoll umschlingt und trägt.

 

Als ich wieder an Land komme merke ich dass es schon beinahe morgen geworden ist. Es ist aber kühl und die Sonne wird noch eine Weile brauchen bis sie über die Bäume schauen wird und mir ihre wärmenden Strahlen schickt. Also suche ich Holz zusammen und mache ein kleines Feuer.

 

Mit diesem Feuer beginnt der Sommer. Denn in meinem Korb sind jene Beutelchen voll mit Gegenständen die den Winter repräsentieren. Ich verbrenne sie und denke dabei an all das was geschehen musste. Laut spreche ich Namen von Freunden, den vier Himmelrichtungen, Sonne, Mond und Sternen. Ich singe, summe, brumme. Freue mich auf den sonnigen Tag der kommen wird.

 

Sommer, dass heisst geschehen lassen. Sehen und gesehen werden. Erkennen und erkannt werden. Geduldig warten und die Sonne mit all ihrer Kraft in jede Zelle meines Körpers einfangen um den nächsten Winter willkommen heissen zu könnten, denn das ist gewiss, er ist heute definitiv vorbei, aber er wird wieder kommen...

 

Noch nicht vorbei ist dieser Tag. Was werde ich heute noch erleben? Wem werde ich noch begegnen?

Was ist übrig geblieben in meinem Korb? Nicht mehr viel und vor allem nichts essbares. Meine Schuhe kann ich schlecht über dem Feuer braten. Ich ziehe sie an und unternehme einen Erkundungsgang dem Rheinufer entlang. Meinen Korb lasse ich stehen. Ich denke mir, wer ihn mit nimmt hat ihn auch verdient! (leer wie er ist...)

 

Das Rheinufer ist zuerst sandig und angenehm Barfuss zu begehen, dann kommt ein Stück Schilf das ich ohne Schuhe durchwaten muss. Es ist ein wenig wie in Afrika, nur ohne Krokodile. Es fehlen nur noch die Mangrovenwurzeln. Oh, und da sind sie auch schon! Hier vor mir. Etwas kleiner als in unserem Mutterkontinent, aber genauso beeindruckend. Ein umgefallener Baum ist trotz aller Widrigkeit weiter gewachsen, hat seine Wurzeln ins Wasser wachsen lassen und ist nun ein herrlicher Ruhe- und Kraftplatz. Ich lege mich einen moment auf seinen, mit Moosüberwachsenen Stamm und träume ein wenig.

 

Das Geschnatter der Enten und das gezwitscher der Vögel weckt mich wieder. Ich wollte doch noch weiter. Also los! Hinter dem Baum ist das Rheinufer mit grossen und kleinen Flusskieselen gesäumt. Gut das ich die Schuhe dabei habe. Die Natur ist üppig und die Büsche und Bäume lassen mich zwar durch, hinterlassen aber auch ihre Spuren. Ich rieche bald schon nach Holunder und Schneeball, Haselnuss und Weide und vielen mir noch unbekannten Pflanzen.

 

Als ich mich durch einen schmalen Pfad kämpfe, glaube ich nochmals zu träumen. Ein Tier sitzt da am Ufer. Kein Vogel, wie etwa ein Schwan, eine Ente oder ein Taucher. Die sind hier häufig zu sehen und keine Seltenheit. Nein. Es ist jener Geselle, der dieser Gegend am Rhein seinen Namen gab. Es ist ein Biber. Nur kurz bleibe ich unbemerkt schon ist er mit einem „Platsch“ im Wasser untergetaucht. Wie schön das er wieder zurück in seine Heimat gefunden hat und hier willkommen ist. Nun fällt es mir auch auf, dass er überall seine Spuren hinterlassen hat. Es gibt schon viele Bäume die er mit seinen starken Zähnen markiert hat. Möchte er wirklich hier seine Burg bauen und mit uns Menschen leben? Schön wärs schon...

 

Jetzt ist kein durchkommen mehr und ich muss zurück auf den Weg. Dort jogge ich noch ein wenig den Feldern entlang, die mir in Erinnerung rufen, dass ich ja noch nichts gegessen habe. Also zurück nach Hause, an Raps und Rüben vorbei und ordentlich gefrühstückt.

 

Meinen Korb habe ich natürlich nicht vergessen. Er ist noch da! Mein Partner, bleibt also der gleiche. Und weil heute ja ein besonderer Tag ist zünde ich eine Kerze an und spreche ein Gebet, sage Mutter Erde und Vater Sonne dank und lasse mir schmecken was ich aus den vier Elementen zaubern, äh kochen kann.

 

 

 

 

Feuer, Lebenslust, Rituale mit Feuer haben einen ganz besonderen Reiz auf uns.
Ritual der Lebensfreude: der Tanz und das Feiern

natürlich kannst du mir auch direkt ein Mail senden: bet.koch@bluewin.ch

 

hier noch ein Link zu meiner Diplomarbeit zum Thema Märchen:
http://ritualundmaerchen.jimdo.com/