Herbstritual 2012

 

Heute ist ein besonderer Tag. Es ist jener Tag der den Sommer vom Winter trennt. Es ist jener Tag an dem die Tage kürzer werden und die Nächte länger. Es ist Tag- und Nachtgleiche. An diesem Tag sind die Energien der Nacht denjenigen des Tages ebenbürtig. Bald werden sie die Oberhand haben und unser Körper wird sich auf den Winter einstellen. Das heisst wir werden früher müde, haben hunger auf ungesundes, fettmachendes und Bewegung scheint uns nicht mehr so verlockend wie an den sonnengefluteten Sommertagen. Unbewusst begeben wir uns zurück in die Bärenhöhle, wo wir unseren Winterschlaf halten und erst wieder herauskommen, wenn der Frühling mit seiner Energie ruft und wir noch am leben sind!

 

Ich mache an diesem Tag alles umgekehrt, das heisst wenn ich aufstehe, esse ich zu abend und gehe gleich wieder schlafen. Das kann ich, denn die Nacht davor habe ich nicht geschlafen. Ich habe diese Nacht zum Tag gemacht. Alles Nachts im dunkeln zu erleben, was tagsüber geschieht ist eine spannende Sache. Sich dabei vorzustellen, dass es nur noch so sein wird, fällt nicht schwer. Ist aber zum Glück nicht so. Mein umgekehrter Tag endet mit einem Spaziergang im Abendsonnenlicht.

 

Tags darauf ist alles wieder normal und ich gehe zum Rhein hinunter. Es regnet, die Sonne hat sich hinter dicken grauen Wolken verborgen und blinzelt nicht einmal. Auch sie wird sich auf den Weg in den Winter machen und mit den Vögeln Geschichten vom Sommer erleben. Ein Feuer zu machen ist nun schwierig, das Holz ist nass und der Boden schlamig und feucht.

 

Wie haben es unsere Ahnen gemacht, als sie vor 500 Jahren hier gelebt haben. Das Wetter war ungefähr dasselbe, die Gegend auch, etwas weniger Ackerbau, dafür mehr Bäume und Bäche. Und damit auch mehr wilde Tiere zum Jagen. Holz und Stein waren ihre Werkzeuge. Die Triebe des Haselstrauches sind lang und gerade. Sie lassen sich ohne grosse Mühe abbrechen. Schon halte ich einen Speer in der Hand. Wenn ich ihn etwas biege, was mit Haselholz sehr gut zu machen ist, brauche ich nur noch etwas Schnur und schon habe ich einen Bogen. Mit etwas Geduld und Übung wäre es sogar heute noch möglich im Rhein Fische mit einem Speer zu fangen. Mir ist aber nicht nach Jagen zumute, ich möchte etwas anderes mit den abgebrochenen Haselnuss-Stangen tun.

 

Ich grabe ein Loch, etwa so gross das ich darin ein mittleres Feuer machen könnte. Dann lege ich flache Steine hinein. Um dieses Loch lasse ich einen Platz frei der es mir erlaubt davor zu sitzen. Dort wo mein Rücken wäre, stecke ich einen Stab etwa eine Hand weit dahinter in den lehmigen Sand. So entsteht eine Art Tipi. Eine Lagerstätte für regnerische Tage und...eine unfertige Schwitzhütte.

 

Nur wenige Handgriffe und aus dem Spitz zulaufenden Tipi ist eine tiefliegende kleine Hütte geworden. Es fehlt noch eine Feuerstelle und genügend Holz. Ein grosses Leder oder mehrere kleine, die auf die Stäbe gelegt werden können fehlen ebenfalls. Da ich ja nicht jagen gehen will, tut es auch ein Berg von Decken und Blachen, der dafür sorgen wird, dass es heiss wird im innern der Schwitzhütte. Nein, ich werde sie nicht verbrennen! Sie werden über der Hütte ausgebreitet und im innern sorgen dann die heissen Steine, welche aus dem Feuer in die Hütte gerollt und in dem Loch dann mit Wasser übergossen werden, für Hitze. Es entsteht nämlich Dampf und der ist wie in einer Sauna heiss und angenehm feucht.

 

Sobald alles vorbereitet ist setzen sich die Schwitzhütten-Teilnehmer im Kreis um das Loch im innern der Hütte. Die Steine werden hereingebracht. Sie glühen rötlich, so heiss sind sie! Dann wird alles dunkel, die Decken sorgen nun dafür dass die Hitze nicht mehr hinaus kann. Ein Summen und Brummen aus dem Bauch sorgt für eine entspannte Atmosphäre, der Redestab wird herumgereicht. Jeder kann nun laut oder in Gedanken das Jahr nochmals zurückverfolgen. Dann kommt ein Schwall Wasser auf die Steine und das Schwitzen beginnt. Die Hitze ist wie ein Wesen, das sich blitzartig über dich wirft und dir versucht den Atem zu nehmen. Aber keine Angst, es ist gleich vorbei und schon bald haben wir uns an die neue Situation gewöhnt und empfinden die Hitze als angenehm. Der Redestab geht erneut herum und nun danken wir für das was wir an Geschenken und Gaben erhalten haben. Wir versuchen hier und jetzt zu sein, singen Lieder oder Lachen über Geschichten. Dann wird wieder Wasser über die Steine gegossen und es wird noch heisser. Wir wissen nun schon nicht mehr ob es Wasser ist oder Schweiss der uns über die nackte Haut rinnt. Es ist auch egal. Nach dieser Runde gehen wir kurz aus der Hütte heraus und einige nehmen ein Bad im Rhein. Die Steine aus der Hütte werden mit denen aus dem Feuer ausgetauscht. Dann kommen wir nochmals zusammen und geben den Redestab herum. Wir benennen das was wir weggeben wollen und das was wir hoffen für die kommende Zeit. Jeder hat sein Lieblingskraut oder Harz dabei und wirft es auf die glühenden Steine. Es entsteht ein Duft der mit der Hitze eine art Rausch erzeugt. Auch wenn die Kräuter die wir benutzen, keine berauschende Wirkung haben. Nochmals werden die Steine mit Wasser übergossen und die Hitze steigt an. Die letzte Runde wird nicht mehr geredet, sie ist dafür zu intensiv. Wer will kann reden. Es wird aber hauptsächlich geatmet, gesummt, gesungen. Visionen tauchen auf und gehen wieder und so vergeht die Zeit in der Schwitzhütte. Immer wieder geben wir Wasser auf die Steine, bis sie erkaltet sind und wir ihre Hitze ganz in uns aufgenommen haben.

 

Nachdem wir wieder in unsere Kleider geschlüpft sind und uns wieder als jene erkennen die wir in der heutigen Zeit sind, gehen wir gemeinsam zurück in die Zivilisation. Zurück bleibt ein Holzgerüst, Steine die etwas warm aber nicht mehr heiss sind und eine Feuerstelle. Ein Ort der ab heute nicht mehr einfach ein Badeplatz ist. Mit unserem Tun haben wir diesen Ort zu einem heiligen Ort werden lassen. Hoffen wir, dass er auch für andere Lebewesen ein heiliger Ort bleibt, und wir Menschen ihn nicht mit unserer Arroganz verschmutzen und unbewohnbar machen.

 

Der Herbst hat begonnen, die ersten Blätter verfärben sich, die Früchte reifen und rufen danach gesammelt zu werden. Das Sterben hat begonnen und lädt uns ein an seiner grossen Tafel mitdabei zu sein. Es ist nicht traurig zu wissen, dass wir etwas weggeben müssen, wenn uns bewusst ist das diejenigen davon leben werden, die uns wichtig sind. Wenn ich mich in der Natur als Teil der Natur erlebe, erlebe ich Freundschaft mit ihr, auch wenn sie mir im Herbst ganz unverblümt bewusst macht, dass der Tod ein willkommener Gast in ihrem Kreis ist. Ich muss akzeptieren, dass etwas stirbt, damit ich lebe. uND UmgeKEHRt geNAUsO...

 

Die Kelten wussten von diesem Zyklus und für sie war es kein Glaube, wenn sie im Herbst Kontakt aufnahmen zu jenen Wesen, die ihren irdischen Körper übernehmen und verinnerlichen (das heisst fressen) würden. Es sind wilde Tiere und Vögel die Fleisch fressen oder aber Insekten, Pilz oder das Feuer, die dafür sorgen, dass unser Körper sich wieder zu jener Substanz wandelt, die wir bewohnen und lieben sollten. Sie ist es, die Erde, die noch heute Mutter genannt wird. Denn von ihr kommen wir und zu ihr kehren wir wieder zurück.

Feuer, Lebenslust, Rituale mit Feuer haben einen ganz besonderen Reiz auf uns.
Ritual der Lebensfreude: der Tanz und das Feiern

natürlich kannst du mir auch direkt ein Mail senden: bet.koch@bluewin.ch

 

hier noch ein Link zu meiner Diplomarbeit zum Thema Märchen:
http://ritualundmaerchen.jimdo.com/